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Interview | Mit Lars Rotzsche, Fachbereichsleiter Windenergie Städtische Werke AG, Kassel

Sinnhaftigkeit und regionale Wertschöpfung sind entscheidend für die Akzeptanz und den Erfolg von Windenergie-Projekten, meint Lars Rotzsche, der bei den Städtischen Werken Kassel für Windenergie zuständig ist. Mit ihm haben wir über Erfolgrezepte für den Ausbau von Windenergie gesprochen.

Neben seiner Funktion bei den Städtischen Werken Kassel AG ist Lars Rotzsche Geschäftsführer von 4 Bürgerwindparks und stellvertretender Landesvorsitzender des Bundesverbandes Windenergie (BWE) in Hessen. Seit vielen Jahren engagiert er sich für Bürger*innen-Beteiligung bei Windenergie-Projekten und für mehr Akzeptanz von Windkraft in der Region Nordhessen. Dieser Einsatz und seine gute Zusammenarbeit mit hessischen Naturschutzverbänden hat dazu beigetragen, dass bisher in der Region 4 Bürgerwindparks genehmigt wurden und in Betrieb gehen konnten. Mit Lars Rotzsche haben wir zu seinem aktuellen Projekt, dem Bürgerwindpark Reinhardswald, ein Interview geführt.

Der Bürgerwindpark Reinhardswald ist jetzt im Februar 2022 nach 10 Jahren – inkl. naturschutzfachlicher Prüfung und Genehmigungsverfahren – endlich genehmigt worden. Kann der Windpark nun wie geplant Ende 2023 in Betrieb gehen?

Dafür bestehen gute Chancen, auch wenn zwei mittlerweile abgewiesene Eilklagen eingegangen sind, eine von der Naturschutzinitative Rheinland-Pfalz, die andere von der Schutzgemeinschaft deutscher Wald (SDW, Landesverband Hessen). Die SDW steht mit der Initiative „Vernunftkraft“ in Verbindung, die bundesweit die Windenergie an Land auszubremsen versucht, und hat eine zusätzliche Klage gegen die Genehmigung eingereicht. Wir erwarten die Begründung dieser Klage im April, dann werden wir mit unseren Gremien und Banken entscheiden, wie wir damit umgehen.

Auch wenn solche Klagen wenig Aussicht auf Erfolg haben, können sie die Umsetzung massiv verzögern. Eine ähnliche Klage in Südhessen hat 22 Monate gebraucht bis zum Urteil des obersten hessischen Verwaltungsgerichts (VGH), das personell leider chronisch unterbesetzt ist. Die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BimSchG) ist jedoch für unser Projekt in Gänze erteilt. Wir haben sehr umfangreiche arten- und naturschutzrechtliche Gutachten in unseren Genehmigungsunterlagen eingereicht, so dass wir es als sehr unwahrscheinlich einstufen, dass unsere Genehmigung für die 18 Windenergieanlagen rechtlich zu beanstanden ist. Das Investitionsbeschleunigungsgesetz ermöglicht es uns aber, trotz laufender Klagen bereits mit dem Bau zu starten.

Was waren die zentralen Herausforderungen im Genehmigungsprozess?

Das Genehmigungsverfahren begann im Sommer 2020 mit der Antragseinreichung. Es dauerte ein Jahr bis zur Vollständigkeitserklärung der Unterlagen, dann folgte die Offenlegung der Antragsunterlagen und die Erörterung der Einwände von Bürger*innen etc. Im Vorfeld gab es naturschutzfachliche Studien und Gutachten zu Fledermäusen, Vögeln etc. sowie Windmessungen zur Wirtschaftlichkeit. Durch all diese Vorarbeiten und umfangreiche Gutachten zum Natur- und Artenschutz sowie zum Grundwasserschutz und durch die umfangreiche Zusammenarbeit mit den Trägern öffentlicher Belange und Behörden sind ca. sieben Jahre vergangen.

Die Instrumentalisierung des Artenschutzes durch Windenergie-Gegner ist die große Herausforderung! Denn die zumeist vorgeschobenen naturschutzrechtlichen Klagen führen dazu, dass sich der Ausbau von Windenergie verzögert, weil die Gerichte überlastet sind und keine schnellen Entscheidungen treffen.
 


Wie sind Sie mit dieser Herausforderung umgegangen?

Da uns dieses Problem bekannt war, haben wir arten- und naturschutzrechliche Schutzgüter in der Planung sehr intensiv berücksichtigt. Dazu haben wir z. B. an einem europäischen Forschungsprojekt zu Rotmilanen teilgenommen, welches die Raumnutzung der Tiere über Besenderung nachweist, so dass solche Populationen durch unsere Standorte nicht beeinträchtigt werden.

Außerdem haben wir unsere Planungen überwiegend auf Fichtenmonokulturen mit geringer Biodiversität konzentriert, die durch den Regionalplan in Windvorranggebieten ausgewiesen waren. Die zurückliegenden Dürre-Jahre und die damit einhergehende Ausbreitung des Borkenkäfers führten zu Waldveränderungen, so dass im Gebiet, wo wir unsere 18 Anlagen errichten werden, der Waldbewirtschafter Hessenforst inzwischen ca. 5.000 ha der 7.000 ha Fichtenbestand abgeholzt hat. Das hat zur Folge, dass sich die Eingriffe in die Natur durch unser Projekt – was z. B. die Bauflächen und das Wegenetz angeht – deutlich reduziert haben.

Durch die sorgfältige Berücksichtigung von Naturschutz-Belangen haben wir es erreicht, dass zwei Eilklagen abgeschmettert wurden. Dafür ist es auch sehr hilfreich, dass die hessische Landesregierung in der Verwaltungsvorschrift Naturschutz/Windenergie die Belange des Artenschutzes unter Mitarbeit der etablierten Naturschutzverbände klar festgelegt hat, um die Instrumentalisierung des Artenschutzes zu minimieren.

Wie hoch ist die Akzeptanz der Bürger*innen für ihr Projekt? Wie stark sind Widerstände vor Ort?

Bereits bei der Entscheidung für die Regionalplanung Nordhessen gab es eine offene Bürger*innen-Beteiligung. Darin kamen auch diejenigen zu Wort, die für eine unveränderte Waldkulisse im Naturpark Reinhardswald eintreten und den „Märchenwald“ unverändert bewahren möchten – auch wenn unsere Windanlagen lediglich 0,07 Prozent der Fläche des Reinhardswaldes belegen werden. Obwohl der Wald inzwischen durch die Hitzesommer stark geschädigt ist, sind ca. 10% der Menschen immer noch gegen die Windräder, weil sie z. B. den Blick von ihrer Terrasse auf die „Spargel“ als unschön empfinden.

Die Regionalversammlung hat jedoch alle diesbezüglichen Fragen schon diskutiert und entschieden. Denn die Festlegung von 2% der Landesfläche für Windenergie macht es in Hessen erforderlich, dass auch Waldflächen ausgewiesen werden. Das unterstützen auch B.U.N.D, NABU und HGON, um die Folgen des Klimawandels und damit auch das Artensterben abzuschwächen. Auf 98 Prozent der nichtvorgesehenen Flächen sollen im Gegenzug die Habitate windkraftsensibler Arten verbessert werden.

Inzwischen gibt es auch starken Rückenwind aus einem Netzwerk von Windenergie-Befürwortern aus der Region. So hat das Bündnis Pro-Windkraft gemeinsam mit FFF, Klimagerechtigkeit Kassel, Extinction Rebellion, BUND, Bürgerenergiegenossenschaften und GEW kürzlich eine Pro-Windpark-Reinhardswald-Demo durchgeführt. Dieses Bündnis ist u. a. entstanden, weil es bereits in der Region andere Windpark-Projekte mit Bürgerbeteiligung gibt und damit sichtbar war, dass Windenergie im vorbelasteten Wald ein sinnvoller Beitrag zur Energiewende ist.
 


Was waren die zentralen Hebel bzw. Argumente, um Bürger*innen, Behörden und lokale Politik für den Bau des Windparks zu gewinnen? Welche Rolle spielt dabei regionale Wertschöpfung?

Sinnhaftigkeit, d. h. letztlich Unabhängigkeit von Energieimporten und effektiver Klimaschutz, sowie regionale Wertschöpfung sind die beiden wichtigsten Argumente für die Akzeptanz von Windanlagen in der Region.

Regionale Wertschöpfung und Teilhabe von Bürger*innen wurde durch die Gründung der Energiegenossenschaft Reinhardswald (EGR) sichergestellt. Als Zusammenschluss von 8 Gemeinden hält sie 51 Prozent der Anteile der Windparkgesellschaft. Die übrigen 49 Prozent werden von den Stadtwerken in Kassel und Eschwege und dem Regionalversorger EAM gehalten,  um das Risiko der Projektentwicklung einzugrenzen. Für die Kommunen ist es wichtig, dass sie mitgestalten können und dass ihnen nicht ein externer Projektierter Windanlagen vor die Nase setzt. 

Das Projektentwicklungsrisiko wird von den Stadtwerken überproportional stark getragen. Nach Abschluss des Pachtvertrags für die Flächen mit Hessen Forst haben jedoch 4 der 8 Kommunen ihre Beteiligung wieder zurückgezogen – wobei hier kommunalpolitische Machtspiele mit einigen falschen Informationen  von Freien Wählern in einigen Kommunen mit im Spiel waren. Die übrigen 4 Gemeinden mussten dann ihre Anteile weiter aufstocken. Zusätzlich ist ein privater Unternehmer bei der EGR mit dabei.

Den jetzt beteiligten Kommunen bieten sich sehr gute Renditeperpektiven. Im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern können hessische Kommunen in den Bereichen Erneuerbaren Energien und Digitalisierung wirtschaftlich tätig werden, wenn damit die öffentliche Daseinsvorsorge unterstützt wird oder die Energieversorgung rekommunalisiert wird. Diesen Spielraum nutzt jetzt die EGR, und sie bezieht darüber hinaus Fördermittel für die interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) in Höhe von 100k € durch das Land.
 


Was können Kommunen außer mehr Bürgerbeteiligung noch tun, um den Ausbau  von Windenergie zu fördern und die Akzeptanz dafür zu erhöhen?

Die Sinnhaftigkeit deutlich machen. Indem z. B. die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister den Anstoß geben, um im Rahmen eines Klima- und Energiekonzepts herauszufinden, welche Potenziale für Erneuerbare es im Gebiet der Kommune oder in benachbarten Gebieten gibt. Anschließend sollten Ziele für die Gemeindeentwicklung definiert werden, diese in die Bauleitplanung übertragen und dann Flächen für Erneuerbare ausgewiesen werden.

Diese Verbindung zu einem Klima- und Energiekonzept, das ja auch Maßnahmen für mehr Energieautonomie und Klimaschutz beinhaltet, bettet den Ausbau von Windenergie in einen größeren Kontext ein. Damit fällt es dann auch leichter, die Bürger*innen und andere regionale Akteur*innen von der Sinnhaftigkeit der Errichtung von Windanlagen zu überzeugen.

Was sollte die Bundespolitik für den schnelleren Ausbau von Windenergie tun? Welche Impulse erwarten Sie dafür von der Ampel-Koalition?

Aus meiner Sicht sind drei Punkte besonders wichtig:

  • Personalaufstockung beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel, um Verfahren zu straffen. Die mittlere Verfahrensdauer beträgt dort 17 Monate und ist somit viel zu lang.
  • Die Fristen beim Immissionsschutz-Gesetz für die Vollständigkeitsprüfung liegt bei 1 Monat, real dauert es aber in unserem Fall länger als ein Jahr, bis die Vollständigkeit bescheinigt wurde, weil Personal fehlt. D. h. Verfahren müssen generell massiv beschleunigt werden.
  • Festlegung, dass Erneuerbare der öffentlichen Sicherheit dienen und somit mehr Gewicht erhalten bei der Abwägung der Schutzgüter gegenüber militärischen Belangen (z. B. Tieflugschneisen für Militärhubschrauber), zivilem Luftverkehr, Abstände zu Wetterradaren (Deutscher Wetterdienst).


Wir danken Lars Rotzsche für das Interview.

Kontakt: Lars Rotzsche, Stadtwerke Kassel AG