Potenziale von Fließgewässer für Nah- und Fernwärme – Ergebnisse einer aktuellen Studie
Fließgewässer sind eine Umweltwärmequelle mit einer sehr hohen Leistungsdichte, die bislang in der Öffentlichkeit noch wenig beachtet wurde. Fließgewässer bilden in Deutschland ein Netz von über 400.000 Kilometern Länge und sind relativ gleichmäßig über die Bundesländer verteilt. In fast jeder Stadt oder Gemeinde gibt es vor Ort oder in unmittelbarer Nähe zumindest ein Fließgewässer.
Im Rahmen eines Forschungsvorhabens am Institut für Statik und Dynamik (ISD) der Technischen Universität Braunschweig wurde das aquathermische Potenzial der Fließgewässer in 80 deutschen Großstädten ausgewertet. 41 der 80 Großstädte in Deutschland und damit 51 Prozent können ihren gesamten Raumwärmebedarf für Haushalte, Industrie, Dienstleistung, Handel und Gewerbe zu 100 Prozent und mehr aus Fließgewässern decken. 73 Prozent der untersuchten Großstädte können ihren Raumwärmebedarf mindestens zu 50 Prozent aus Fließgewässerwärme generieren. Nur 5 Großstädte weisen ein Fließgewässerpotential von maximal 10 Prozent der erforderlichen Raumwärmebereitstellung bei einer Einmalentnahme auf.
Die Untersuchungen haben ergeben, dass bei einem Temperaturentzug von zwei Kelvin ein Wärmepotential von 430,8 bis 861,5 TWh jährlich in Deutschland erschlossen werden kann. Dies entspricht bis zu 35,8 Prozent des Endenergiebedarfs, bis zu 64 Prozent des Wärmebedarfs und bis zu 94 Prozent des Wärmebedarfs im Niedertemperaturbereich in Deutschland. Es bietet sich daher geradezu an, diese gut erschließbare und kostengünstige Umweltwärmequelle mit Hilfe von Großwärmepumpen für die kommunale Wärmeversorgung energetisch zu nutzen. Insbesondere auch, weil sich im Allgemeinen bereits bestehende wasserbauliche Infrastrukturen wie z. B. Wasserkraftanlagen, Wassermühlen, Wehre, Querbauwerke, Kühlwasserentnahmen, Abwassereinleitungen etc. innerhalb oder in der Nähe von Städten und Dörfern befinden und damit für eine erweiterte Nutzung oder Umnutzung zur Verfügung stehen.
Fließgewässerwärme kann am besten durch eine bestehende Wasserkraftanlage genutzt werden. Solche Anlagen besitzen bereits das Recht der Wasserentnahme für die energetische Nutzung. Außerdem besteht dort die Möglichkeit, den vollständigen Durchfluss des Fließgewässers und damit das gesamte Wärmepotenzial über den Ausbaudurchfluss der Wasserkraftanlage zu nutzen. Dieses Recht muss dann für eine Wärmeentnahme lediglich erweitert werden. Eine solche Wasserkraftanlage verfügt zumeist über die erforderlichen Entnahmebauwerke, Rechenanlagen und z. B. Fischwanderhilfen – d.h. sie erfüllt auch Umweltschutzkriterien, was eine relativ schnelle Inbetriebnahme von Wärmepumpen ermöglicht. Und ein weiterer Vorteil: Der Strom, der durch diese Anlagen erzeugt wird, kann für den Betrieb der Großwärmepumpe genutzt werden.
Interessant ist auch, dass die deutschen Fließgewässer im Winter 60 bis 70 Prozent mehr Wasser als im Sommer führen. Infolge des Klimawandels sind die Gewässertemperaturen mittlerweile um 3 bis 4 Grad wärmer als in den 1950er-Jahren. Dies hat zur Folge, dass zwei Kelvin Entnahme von Wärme aus Fließgewässern für die Gewinnung von Nah- und Fernwärme eine wirkungsvolle Möglichkeit zur Klimafolgenanpassung wäre und die ökologische Sanierung der Gewässer unterstützen würde.
In der Kommunalen Wärmeplanung wurde das Potential von Fließgewässern bisher oftmals nicht hinreichend berücksichtigt. Vor allem in der Potentialanalyse, wo die räumlichen Optionen zur Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien ermittelt werden, wird diese Umweltwärmequelle von jetzt an stärker in den Blick rücken. Denn wenn man dieser Studie folgt, wird sich in vielen Kommunen die Wärmeentnahme aus Fließgewässer als die vielleicht klimafreundlichste und kostengünstigste Möglichkeit zur Versorgung von Wärmenetzen herausstellen.
Kontakt: Dipl.-Ing. Christian Seidel, Arbeitsgruppenleiter Regenerative Energien Technische Universität Braunschweig Institut für Statik und Dynamik (c.seidel@tu-braunschweig.de)
Kurzdarstellung der Studienergebnisse
Vortrag von Christian Seidel
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