
Aktuelles
Interview | Prof. Gernot Barth, IKOME | Steinbeis Mediation

Guten Tag Herr Prof. Barth. Wir unterhalten uns heute über die Ergebnisse Ihrer Studie, den Steinbeis Bürgerbeteiligungsreport 2025 mit Schwerpunkt Wärmewende. Würden Sie uns zunächst kurz Ihren Werdegang beschreiben? Und was aktuell der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeiten ist und was Sie für diese Aufgaben besonders motiviert?
Viele Jahre war ich als Sozialpädagoge an verschiedenen Hochschulen tätig. Nach einer Mediationsausbildung arbeitete ich zunächst als selbstständiger Mediator, bis ich vor etwa 20 Jahren das Institut für Kommunikation und Mediation Leipzig, IKOME und die Unternehmensberatung „Steinbeis Wirtschaftsmediation“ gegründet haben. Mit Büros in Leipzig, Berlin und Stuttgart sind wir in Deutschland eines der größten Institute für Wirtschaftsmediation und geben auch die Zeitschrift DIE MEDIATION heraus, wo wir uns mit Konflikten in Unternehmen und speziell auch im Energiesektor beschäftigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Bau von Hochspannungsleitungen, Wind- und PV-Anlagen.
In Ihrem Report untersuchen Sie die aktuelle Situation der Bürgerbeteiligung bei der Wärmewende. Was sind nach Ihrer Studie und aus Ihrer Erfahrung die größten Konfliktpotentiale aus Sicht der Bürger*innen?
Allgemein kann man feststellen, dass Menschen bei Veränderungen erst einmal auf sich selbst schauen. Sie fragen sich, welche Auswirkungen die Veränderungen auf das eigene Leben haben werden. „Eigene finanzielle Belastungen“ (ca. 60%) sind für die meisten das Thema mit dem größten Konfliktpotential, dicht gefolgt von „ausufernde Kosten für die Allgemeinheit“ (ca. 50%). Das heißt, die häufig vermutete Annahme, dass die Menschen primär nur an sich denken – Stichwort „Not in my own backyard“ – ist so nicht ganz richtig. Menschen denken gleichzeitig auch an das Funktionieren des Gesamtsystems, und ob dies die entstehenden Kosten der Veränderung, hier für die Wärmewende, stemmen kann.
Wenn wir Infrastrukturprojekte begleiten, stellen wir oft fest, dass es die Haltung gibt: Wir machen das Projekt für die Bürger*innen. Das ist etwas anderes, als wenn man Energiewende mit den Bürger*innen macht. Wenn man aus der Haltung „für die Bürger*innen“ handelt, wird im Falle von Widerständen oftmals der Rechtsweg beschritten – anstatt dass man in die Kommunikation mit den Bürger*innen investiert. Insgesamt investieren wir zu wenig in die Kommunikation mit den Bürger*innen. Vielleicht, weil man bei guter Kommunikation erst einmal zuhören und sich auf die anderen mit ihren Sorgen und Ängsten einlassen muss. Gute Kommunikation bedeutet, die Vorschläge und Ideen der Bürger*innen aufzunehmen und in den Planungen zu berücksichtigen, z. B. bei geplanten Stromtrassen ebenfalls Vorschläge für Alternativtrassen zu prüfen.
Bezogen auf die Wärmewende hat unsere Studie ergeben, dass sich 72 % der Bevölkerung eher schlecht oder sehr schlecht über die entsprechende Planung in ihrem Wohnumfeld informiert fühlt. Viele Vorhabenträger und auch Kommunen bieten keine Beteiligungsmöglichkeiten an, weil sie Angst haben, dass Streit entsteht. Wir benötigen viel mehr Dialog. Und im Grunde haben wir hier ein Demokratiedefizit.
Noch einmal zurück zum Thema „Not in my own backyard“. 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind prinzipiell für die Energiewende. Die Haltung „Not in my own backyard“ entsteht, weil bei der Energiewende nicht genügend mit den Menschen geredet wird. Oft ist es doch so: die einen verdienen mit ihrem Windpark Millionen, die anderen haben die Windräder vor der Nase und gehen leer aus. Die Aufgabe ist: Wie können wir die Energiewende so gestalten, dass alle davon einen Nutzen haben.
Sie haben unter anderem eine repräsentative Stichprobe nach einem Split Ost-West verwendet. Interessant wäre vielleicht auch, ob es zwischen Bürger*innen in Städten und auf dem Land ggf. Unterschiede in den Einstellungen oder Wahrnehmungen gibt? Haben Sie zu beiden Aspekten etwas herausfinden können?
Hierzu haben wir Dinge festgestellt, die vor dem Hintergrund der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung vielleicht überraschen mögen. Denn bei den Konfliktpotentialen gibt es zwischen Ost und West oder auch zwischen Stadt und Land keine signifikanten Unterschiede, weder in unserer aktuellen Studie noch in der Vorgängerstudie von 2023!
81% der Bevölkerung nehmen Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten als wichtig wahr. Andererseits haben nur 30% Interesse, an einem Beteiligungsprozess mitzuwirken, beziehungsweise 35% nur dann, wenn sie selbst betroffen sind. Wie sieht "richtige" Beteiligung aus? Was verstehen Sie unter "Beteiligung"?
Beteiligung bedeutet, informiert zu werden und sich einbringen zu können. Die meisten Menschen möchten die Möglichkeit haben, etwas tun zu können, wenn sie es wollen. Man sollte die Menschen schon sehr frühzeitig informell bei der Wärmewende einbinden, auch wenn es noch keine ganz konkreten oder belastbaren Informationen zu den Planungen gibt. Mit dem Ziel, dass die Bürger*innen sich mitgenommen und nicht beherrscht fühlen.
Bei Informationsveranstaltung sollte der Dialog im Vordergrund stehen, und keine „Frontalbeschallung“. In der Corona-Zeit haben wir dafür ein neues Format entwickelt: Slots mit maximal 20 Personen, zu denen man sich anmelden kann, und wo die einzelnen Gruppen auf einem einheitlichen Weg nacheinander einen Rundlauf machen. Dieses Verfahren deeskaliert enorm. Es gibt häufig eine kleine Gruppe von Personen, die bei solchen Veranstaltungen auf Krawall aus sind und z. B. auf die allgemeine politische Lage schimpfen. Diese Menschen haben sonst keinen Ort, wo sie ihren Frust abreagieren können. Wenn sie aber einmal Dampf abgelassen haben, sind diese Menschen meist in der Gruppe auch konstruktiv. Das Emotionale benötigt Raum, bevor man zum Sachlichen kommt. Diese Rundlauf-Veranstaltungen kommen bei den Menschen sehr gut an. Wir brauchen bei solchen Veranstaltungen mehr Nähe und Dialog, dann fokussiert sich auch nicht alles auf die Unzufriedenen und Lautesten.

Bei der Wärmewende wünschen sich Menschen insbesondere Informationen zu 1. eigene finanzielle Belastungen, 2. Kosten für die Allgemeinheit, 3. Bauphasen, 4. Fördermittel, 5. Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Reicht das aus, um bei den Bürger*innen Akzeptanz zu schaffen?
Abgesehen von Inhalten, müssen in den Kommunikationsprozessen auch demographische Entwicklungen berücksichtigt werden, denn die Altersgruppe 50+ verhält sich hinsichtlich Ansprache anders als die Gruppe der 20- bis 40-Jährigen. Die letzteren erleben ständig Veränderungen. Die andere Gruppe hat zumeist etwas geschaffen, sie hat bereits viele Erfahrungen gemacht und ist mehr auf Erhalt aus. Diese Menschen benötigen Zuwendung, indem man wertschätzt, was sie geschaffen haben. Sie sind eher affin für Druckerzeugnisse und insgesamt weniger Online-affin. Die jüngere Gruppe dagegen, wenn sie ein Thema betrifft oder interessiert, holt sich die Informationen selbst. In der älteren Gruppe befinden sich häufig Immobilienbesitzer.*innen Sie sind von der Wärmewende besonders betroffen. Sie machen sich viel mehr Sorgen als die Jüngeren, weil sie durch die Wärmewende finanzielle Belastungen auf ihr Haus oder ihre Wohnung zukommen sehen. Hierbei sollte man sich auch überlegen, wie man durch Förderprogramme Sorgen oder auch echte Härtefälle abfedern kann.
Was leitet sich für Kommunen aus der Tatsache ab, dass Zukunftsthemen wie Klimaschutz oder Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zumindest in Ihrer Studie kaum eine Rolle spielen? – Müsste man nicht sehr viel stärker den Nutzen der Wärmewende und warum wir das machen, nämlich die Klimakrise zu bewältigen und unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu hinterlassen, herausstellen? Wie würden Sie das sehen?
Dieser Punkt ist aus meiner Sicht durch die Demographie erklärbar. Junge Menschen machen sich Gedanken über die Zukunft, sie denken darüber nach, was in 50 Jahren passieren könnte und stehen unter Veränderungsdruck. Ältere Menschen als Kohorte, nicht jeder Einzelne, denken die Zukunft oft weniger stark als junge Menschen. Bewegungen, wie Fridays for Future sind deshalb hitziger oder auch angriffslustiger, wenn sie an Zukunft denken. Unter den älteren Menschen finden sich natürlich auch einzelne, die ebenso vorwärtsgerichtet reagieren. Aber ältere Menschen als Kohorte machen sich rational über die Zukunft ihrer Enkel Sorgen – richtig emotional sind solche Sorgen bei älteren Menschen zumeist nicht so stark verankert.

Was würden Sie Kommunen abschließend empfehlen, um die Bürger*innen an der Wärmewende zu beteiligen und um ihnen Orientierung zu geben?
- Geben Sie den Menschen Sicherheit und sagen Sie ihnen, weshalb es wichtig ist, die Wärmewende anzugehen und welchen späteren Nutzen sie davon haben werden. Wenn man das nicht schafft, entsteht Widerstand.
- Geben Sie Bürger*innen möglichst frühzeitig die Möglichkeit zur Mitgestaltung.
- Nehmen Sie sich Zeit für Menschen, die ein Anliegen haben, und gehen Sie auch in Quartiere, wo es Widerstand geben könnte, um aufzunehmen, was die Menschen dort bewegt.
- Achten Sie darauf, dass keine größeren Ängste entstehen, besonders bei Wohnungs- und Hauseigentümer*innen.
Zum Schluss noch eine generelle Empfehlung: Verhindern Sie Spaltung und fördern Sie gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung.
Wir danken Prof. Gernot Barth für das Interview.
Kontakt:
Prof. Gernot Barth, Geschäftsführer IKOME | Steinbeis Mediation
Email: gernot.barth@steinbeis-mediation.com
Wollen Sie mehr erfahren?
Kontaktieren Sie uns hier oder per Telefon unter +49 69 71 71 39-48
für weitere Informationen