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Interview | Mit Torsten Schwarz, Netzwerke Energiewende jetzt

Neben seiner Arbeit als stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Energiewende Jetzt“ ist Herr Schwarz Projektierer von gemeinwohlorientierten PV-Freifläche-Projekten, Gründer der Bürgerwerke eG und Betreiber einer Biolandwirtschaft im Schwarzwald.

Guten Tag Herr Schwarz, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Energiewende Jetzt“, Projektierer von gemeinwohlorientierten PV-Freifläche-Projekten, Gründer der Bürgerwerke eG, Betreiber einer Biolandwirtschaft im Schwarzwald. Sie sind also sehr engagiert in der Bürgereinergie – wie ist es dazu gekommen?

Als Geschäftsführer eines Stadtwerke-Bündnisses, das „rekommunalisiert“ hat, d.h. „nimm dem großen Energieversorger und gib den kleinen vor Ort“, wurde ich angesprochen, das System einer Dachgesellschaft auf Energiegenossenschaften zu übertragen. Vor diesem Hintergrund entstanden 2013 die Bürgerwerke, eine unternehmerische Dachgesellschaft mit mittlerweile über 100 bundesweit aktiven Energiegenossenschaften, die vorrangig gemeinsam Strom an Endkunden liefern.

 

Was ist die Zielsetzung Ihres Vereins „Energiewende Jetzt“?

Der Verein wurde ursprünglich gegründet, um Projektentwickler zu qualifizieren. Ziel war das Gründen einer Genossenschaft. Aktuell liegt der Fokus darauf, Promotor*innen der Bürgerenergie zu unterstützen, um mehr Wirkung zu erzielen, sei es mit Schulungen, Coachings oder Beratungen. Generell kann man sagen, dass für Genossenschaften die Ausrichtung auf die für sie passenden Geschäftsfelder sowie bezahlte Kräfte der wesentliche Schlüssel sind, um eine größere Wirkung zu erzielen, da ehrenamtliche Kräfte die zeitlichen Anforderungen nur schwer abdecken können.

 

Welche möglichen Schnittstellen haben Sie durch Ihren Verein zu Kommunen, insbesondere beim Thema PV-Freifläche?

Es gibt drei Themenbereiche, zu denen wir von Kommunen oft angesprochen werden, wenn sie selbst gestalten möchten: welchen wirtschaftlichen Nutzen haben die Kommunen, wie kann die  Bürger*innenbeteiligung im Rahmen des Planungsprozesses aussehen und wie kann die Bürgerschaft finanziell an EE-Projekten beteiligt werden. In vielen Fällen suchen Kommunen Partner und / oder benötigen Unterstützung bei der Umsetzung von Projekten, insbesondere die Übernahme des Projektmanagements. In der Praxis nehmen Kommunen Energiegenossenschaften oft gar nicht als mögliche Partner wahr, oder sie kommen nicht auf die Idee, die Gründung einer Energiegenossenschaft anzustoßen bzw. zu fördern. Als  Verein unterstützen wir z. B. dabei, dass Kommunen Genossenschaften als Lösungsanbieter und unterstützende Partner wahrnehmen und mit Ihnen in einen Dialog treten. Beide Parteien können sich sehr gut ergänzen und zusammen eine echte Erfolgsgeschichte schreiben.

 

Welchen Einfluss haben Kommunen auf den Ausbau von PV-Freifläche? (vgl. Regionalplanung, Bauleitplanung etc.)

Derzeit könnten die Kommunen die wichtigsten Treiber und die wichtigsten Gestalter sein. Das hat einen wichtigen Grund: Im Unterschied zu Windparks ist bei PV-Freiflächen nahezu immer ein Bebauungsplan und die Fortschreibung der Flächennutzungsplanung erforderlich. Der Bebauungsplan liegt in der Hoheit der Gemeinden und Städte. D. h. es gibt keine PV-Freiflächenanlage,  ohne dass die Kommune zustimmt.

Kommunen haben somit grundsätzlich zwei Möglichkeiten im Rahmen ihrer Bauleitplanung: ein reaktiver, vorhabenbezogener Bebauungsplan, oder ein aktiver, angebotsbezogener Bebauungsplan. Ein angebotsbezogener Bebauungsplan hat den Vorteil, dass die Kommunen bestimmen, wo sie PV-Freiflächen haben möchten und dafür das Baurecht schaffen und/oder die Flächen sichern und zur Verfügung stellen. Beides ist zu empfehlen, da es der Akzeptanz und der Zustimmung der Flächeneigentümer bedarf und Kommunen mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben, wenn sie die Nutzungsrechte an den Flächen haben. Natürlich sind daneben die Regionalplanung und die Bundes- oder EU-Gesetze zu beachten, wie z. B. der Natur- und Biotopschutz.

 

Welche Flächenpotentiale in Kommunen gibt es, die bislang noch wenig genutzt werden?

  • Konversionsflächen: 500-Meter-Streifen an Infrastrukturtrassen
  • (Industrie-)Brachen: z. B. „Bürgermeister-Kippen“ (große Löcher, in die früher Abfall reingekippt wurde und die dann z. B. mit Erdaushub aus Neubaugebieten verschlossen wurden), Müll-Deponien, Brachen im Bergbau
  • Randbereiche von Gewerbegebieten oder nicht ausgefüllte Gewerbeflächen, die perspektivisch auch in den nächsten Jahren nicht anderweitig genutzt werden: Dort kann man Erzeuger und Verbraucher zusammenbringen, so dass Strom günstiger wird und kein Netzausbau erforderlich ist.
  • Kulisse der benachteiligten Gebiete: Gebiete, in denen Landwirtschaft nur mit hohem Aufwand und geringem Ertrag stattfinden kann. Im EEG bedeutet die Länderöffnungsklausel, dass es den Bundesländern freigestellt ist, die Flächenkulisse zu erweitern, um benachteiligte Gebiete für PV-Freifläche zu nutzen. Diese Flächenkulisse bietet übrigens bundesweit das größte Potenzial.
  • Agri-PV auf landwirtschaftlichen Flächen: Dort ist zwar prinzipiell Potential vorhanden, aber die Stromproduktion ist signifikant teurer als aus konventionellen Freiflächenanlagen. Agri-PV funktioniert nur, wenn sie zum Betriebskonzept der Landwirte, Obstbauern und Winzer passt und sich die damit verbundenen Änderungen der betrieblichen Abläufe für die Betreiber rechnen. Für viele Landwirte kann es eine sinnvolle Alternative sein. So gibt es im Obstbau gute Erfahrungen, z. B. schützen PV-Anlagen auf Traggestellen vor Hagel, Frost, Sonnenbrand, Pilzbefall und erfordern weniger Pflanzenschutzmittel. Zu beachten ist aber, dass die Kosten für Agri-PV-Anlagen – vor allem wegen der Aufständerung –  deutlich höher ausfallen als bei der Errichtung konventioneller PV-Anlagen und nach dem EEG 2023 lediglich eine Technologieprämie von 1,2 Cent/KWh dafür gewährt wird. Das ist aktuell nicht ausreichend für einen wirtschaftlichen Betrieb. Eine weitere Möglichkeit sind Solarzäune und Tracker-Anlagen, die sich nach dem Sonnenlicht ausrichten. Sie lassen sich in den meisten Fällen wirtschaftlich betreiben und können für Landwirte ein weiteres Einkommens-Standbein darstellen.
  • Privilegierten Flächen in einem 200 Meter-Streifen entlang von Autobahnen und zweigleisigen Bahntrassen. Außerdem soll mit der Änderung des Baugesetzbuchs  die Privilegierung von Agri-PV-Anlagen kommen, die bis zu 2,5 ha Fläche umfassen und in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang zu einem landwirtschaftlichen Betrieb stehen. 

 

Welche Vorteile bringt der Ausbau von PV-Freifläche Kommunen (vgl. auch Neuerungen im EEG 2023, z. B. 0,2 Cent/KWh eingepeister Strom gehen in die Gemeindekasse)?

Wenn man ein Tortendiagram der kommunalen Wertschöpfung zeichnet, dann sind die 0,2 Cent/KWh eingespeister Strom aus der Kommunalabgabe ein kleines Stück der „Torte“. Wenn die Kommune es aber richtig angeht, kann sie die Wertschöpfungsströme so steuern, dass die lokale Wirtschaft, das Handwerk und die Bürger*innen nahezu alles vom Kuchen abbekommen, z. B.  indem die Investoren alle aus dem Ort kommen, ortsansässige Banken einbezogen werden, die Flächenpflege und die Wartung der Anlagen vor Ort erbracht werden kann. Wenn man einen lokalen Investor bzw. Betreiber für die Anlage findet, fließt sogar zusätzliche Gewerbesteuer in die Gemeindekasse. D. h. die Wertschöpfungseffekte sind geschätzt um den Faktor 8- 10mal höher als die Einnahmen aus der Kommunalabgabe.

Kommunen weisen die Flächenkulisse aus, können als Flächensicherer agieren (ähnlich wie bei der Ausweisung von Neubau- oder Gewerbegebieten) und sich an den Anlagen selbst finanziell beteiligen. Vielen Kommunen ist hierbei nicht bekannt, dass sie sich beteiligen können, auch wenn sie aktuell keine finanziellen Reserven haben; sie können z. B. Kredite zu Kommunalkreditkonditionen aufnehmen, um es in eine Projektgesellschaft einzuzahlen und so an der Rendite teilhaben.

Es gibt für uns drei prädestinierte Investoren, die Kapital aufbringen und sicherstellen können, dass das Geld in der Region verbleibt: die Flächeneigentümer bzw. Landwirte, die Kommunen und die Bürgerschaft. Die Bürgerschaft kann man über eine Energiegenossenschaft bündeln. Je mehr Personen mit kleineren Beträgen beteiligt sind, umso mehr Geld verbleibt und zirkuliert in der Region. Es gibt Kommunen, die hierbei schon sehr weit sind, z. B. ein paar Vorreiter-Kommunen in Rheinland-Pfalz und Hessen. Das Modell ist aber noch sehr neu und muss immer wieder erklärt werden.

 

Warum sollten Kommunen jetzt besser agieren bzw. welche Risiken bestehen, wenn Sie abwarten und die Energieversorgung dem „freien Markt“ überlassen?

Kommunen haben Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten – diese sollten sie für sich und ihre Bürger*innen aktiv nutzen. Wenn Kommunen nicht agieren, werden Flächen ohne ihre Mitwirkung vergeben, verpachtet und verkauft. Kommunen erfahren davon häufig zu spät und müssen dann als ein nachgelagerter Akteur auftreten. Bei 3 bis 4 Projektentwicklern in dem Gemeindegebiet ist es schwierig, einen Konsens unter den Projektentwicklern zu finden, weil jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Darüber hinaus kann eine Kommune, die als Flächensicherer und - entwickler auftritt, innerhalb der Gemeinde Ausgleiche schaffen, Härten bei wegfallenden Pachtflächen für Landwirte vermeiden und so zum „Dorf-Frieden“ beitragen.

Aktives Handeln bei der Flächensicherung bedeutet für Kommunen sicher erst einmal mehr Arbeit. Es erfordert auch fachliche Expertise und Kapazitäten, die oft nicht mehr in den Kernverwaltungen vorhanden sind. Alternativ kann man aber auch einen Berater einschalten, der zwar auch Geld kostet, aber dessen Nutzen aus unserer Erfahrung im Vergleich zum Aufwand um mindestens zwei Zehnerpotenzen höher ist.

In der Praxis kann es durchaus passieren, dass ein Projekt nicht umgesetzt wird. Was es hierfür braucht ist ein Risikomanagement, das die Vorlaufkosten minimiert. Diese können dann auf die Projektgesellschaften umgelegt werden, d. h. alle Kosten, die für ein Baugebiet angefallen sind, werden dann vom späteren Nutzer und Profiteur bezahlt. Die Kommune bleibt also auf keinen Kosten sitzen. Risiken lassen sich auch minimieren, wenn man zeitgleich mehrere Projekte angeht. Wenn dann nur eines von z. B. 3 Projekten realisiert wird, können die (Planungs-)Kosten der beiden anderen darauf umgelegt werden.

Mit benachbarten Landkreisen oder Verbandsgemeinden gemeinsam Projekte anzugehen, minimiert das Risiko ebenfalls. Man sollte hierbei regional denken und planen, da bei Flächenkulissen die Potentiale nicht an der Gemarkungsgrenze aufhören. Wenn man die Planung koordiniert, können auch die Bauämter gezielter arbeiten und gemeinsam planen. Dadurch lassen sich Projekte zeitlich besser staffeln, und es können fehlende Kompetenzen ausgeglichen, Aufwände reduziert und Kosten eingespart werden.

 

Welche Tipps und Empfehlungen würden Sie Kommunen geben, die den Ausbau von PV-Freifläche auf Ihrem Gebiet oder auch in ihrer Region stärker fördern möchten – z. B. um Klimaziele zu erreichen oder energieunabhängiger zu werden?

  • Freiflächenpotentiale für PV in der Gemeinde bzw. Region identifizieren
  • Analysieren, in welchem Umfang die Kommune, ihre Wirtschaft und Bürger*innen von regionaler Wertschöpfung sozial und finanziell profitieren könnten
  • In den kommunalen Gremien über die Potentiale diskutieren und – neben finanziellen – auch die  Gemeinwohl-Aspekte in den Vorgrund stellen, d. h. besprechen und definieren, was Gemeinwohl für die Menschen vor Ort bedeutet (z. B. was steigert die Lebensqualität, den Wohnwert?), diese Aspekte in die Ausschreibung integrieren und ggf. dem Investor / Projektierer den Zuschlag geben, der den größten Gemeinwohlbeitrag leisten wird
  • Gönnt Euch eine Klausurtagung: „Wie sollten wir steuern?“, „Wie können wir sicherstellen, dass der Nutzen größtmöglich vor Ort bleibt?“, „Wie können wir neue Finanzierungsmöglichkeiten erschließen, z. B. Gewinne aus der eigenen Infrastruktur nutzen etc.?“
  • Nutzt Eure Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten! – Aktives Gestalten macht mehr Freude als von Außen getrieben zu werden.

 

Wir bedanken uns bei Torsten Schwarz für das Interview.

 

Kontakt: Torsten Schwarz

Mehr Info / Website: netzwerk-energiewende-jetzt.de