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Interview | Mit Lea Johannsen, Referentin Klima & kommunale Demokratie, Mehr Demokratie e.V.

Als Psychologin (M.Sc.) und Mathematikerin (B.Sc) hat Lea Johannsen am Handbuch Klimaschutz – wie Deutschland das 1,5-Grad-Ziel einhalten kann – mitgearbeitet. Dort wurden 300 wissenschaftliche Studien ausgewertet, um zu analysieren, wie eine Transformation in eine klimaneutrales Deutschland unter Einhaltung des Paris-Abkommens überhaupt möglich ist. Hierbei kristallisierte sich die Kommunale Wärmeplanung als zentraler Baustein für eine klimaneutrale Wärmeversorung heraus. Danach hat sie in einer Landkreis-Energieagentur in Baden-Württemberg Kommunen bei der Wärmeplanung beraten.

 

Guten Tag Frau Johannsen. „Kommunale Wärmeplanung“  klingt erst einmal sehr technisch-komplex, wobei man den Faktor Mensch leicht aus dem Auge verlieren kann – welche Erfahrungen haben Sie in diesem Zusammenhang gemacht? Wie haben Sie das erlebt?

Wärmeversorgung ist zunächst ein technisches Thema. Im Vordergrund stehen Fragen wie „Welche Wärmequellen können und wollen wir nutzen?“, „Wo lohnt sich ein Wärmenetz, wo nicht?“ Weil das für viele Beteiligte technisch interessante Fragen sind, gerät das Menschlich-Zwischenmenschliche häufig aus dem Blick. Menschen spielen jedoch immer eine wichtige Rolle – sie entscheiden, ob sie sich an ein Wärmenetze anschließen, ihr Haus sanieren, oder ob sie dafür kämpfen, dass ein Netz geplant und umgesetzt wird. Veränderungen führen bei manchen Akteuren zu Ängsten vor Machtverlusten, zu Interessenkonflikten. Oft entscheiden diese Punkte darüber, ob eine Maßnahme umgesetzt wird oder nicht.

Ein guter Wärmeplan ist der, der am Ende auch umgesetzt wird. Dafür müssen die nicht-technischen Belage von vornherein mitbedacht werden. Welche Verwaltungsämter sind für die Umsetzung essentiell? Neben einem technischem Konzept braucht es ein gemeinsames Arbeiten innerhalb dieser Ämter, denn dadurch festigt sich der Umsetzungswille.
 

Bei der kommunalen Wärmeplanung ist es oft nicht so eindeutig, wer bzw. welche Organisation oder Stelle hierzu die Initiative übernehmen sollte. Wie war das bei Projekten, mit denen Sie zu tun hatten? Wie sollte man sich organisieren, damit nicht nur die Planung, sondern auch die Erstellung einer Strategie und die Umsetzung hinterher erfolgreich verläuft?

Die Initiative für die Wärmeplanung kann von drei Seiten kommen: Entweder durch die Pflicht für Kreisstädte (wie in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder bald ganz Deutschland), Kommunalverwaltungen oder -politik, die von sich aus loslegen, oder aus der Bevölkerung, z. B. von Klimaschutz-Initiativen, die eine Wärmeplanung in Richtung Verwaltung fordern (z. B. in Beteiligungs-Workshops). Aufsetzen kann eine Wärmeplanung aber nur die Landkreis- oder Kommunalverwaltung, auch schon aus Datenschutzgründen. Der Prozess funktioniert immer besser, wenn Entscheidungsträger*innen die Wichtigkeit erkannt haben, mit einsteigen und ihn mitsteuern. Lokale Initiativen können hilfreich sein, weil deren Vertreter*innen nicht „beruflich“, z. B. als Verwaltungsbedienstete, in den Prozess involviert sind und sie daher für Klimaschutzbelange „freier“ eintreten können.

Für die Planerstellung sind das Bauamt, das Stadtentwicklungsamt (bzgl. Raumplanung etc.), Gebäude- und Energiemanagement sowie die Öffentlichkeitsarbeit wichtig. Außerdem spricht eine involvierte Kommunalpolitik für den Prozess, da dort später die Schritte der Umsetzung diskutiert und beschlossen werden.

Wenn die Bestandsaufnahme und Potenzialanalyse erfolgt ist, und man beginnt, Lösungsszenarien zu entwickeln, ist es meiner Meinung nach essentiell, die Bürger*innen einzubinden. Über die Konsequenzen und Chancen verschiedener Technologien, z. B. Wärmepumpen, haben viele Menschen bisher wenig gehört. Umso wichtiger ist es, die Anwohner*innen darüber aktiv zu informieren, denn es geht ja letztlich um den Austausch ihrer Heizungen. Nur mit einer guten Wissengrundlage können Sie z. B. entscheiden, ob sie ihr Gebäude bzw. ihre Wohnung an das Netz anschließen wollen oder nicht.

Durch die heutige Informationsflut muss in solchen Fragen viel aktiver kommuniziert werden als früher. Z. B. können Beteiligunsbeauftragte der Verwaltung mit den Menschen vor Ort gemeinsam Konzepte entwickeln, wie man die Menschen am besten erreicht und welche Informationen sie benötigen, um sich ein gutes Bild zu machen. Der Informationsprozess sollte frühzeitig gestartet werden, damit Bürger*innen auch noch ein längeres Zeitfenster für gemeinsame Entscheidungen haben, besonders auch im Zusammenhang mit Besitz- und Beteiligungsstrukturen bei Wärmenetzen.
 

Was sind weitere wichtigsten Stakeholder und Interessen, die man bei der kommunalen Wärmeplanung und deren Umsetzung unbedingt berücksichtigen sollte?

Lokale Energieversorgung, Stadtwerke (sofern vorhanden), Energiegenossenschaften, Erdgasverteilnetzbetreiber, Wohnungsbaugesellschaften, und diejenigen, die die Maßnahmen umsetzen werden, z. B. Handwerksbetriebe, Energieberater*innen, Tiefbauunternehmen, und Menschen, die dort wohnen, d. h. Anwohner*innen und Gewerbetreibende.

Bei manchen Akteur*innen und Bürger*innen verursachen Verlustängste Widerstände. Die Ängste sind teilweise berechtigt, vielen ist aber nicht bewusst, dass es gleichzeitig auch neue Chancen und Möglichkeitsfenster gibt. Z. B. haben sich manche Stadtwerke, die seit Jahrzehnten Gas vertreiben, noch nicht richtig mit den Chancen von Wärmenetzen beschäftigt. Im Handwerk ist es teilweise ähnlich, wenn der Fokus bisher auf Installation und Wartung von Gasthermen lag. Auch hier bieten sich neue Geschäftsfelder, z. B. bei der Installation von Wärmepumpen oder von Übergabestationen.

Um diese Stakeholder einzubinden, sollte man schon bei der Planung überlegen, wie man mit ihnen am besten in den Dialog treten kann. Oft bilden sie auch eine wichtige Informationsquelle, um die Umsetzungswahrscheinlichkeiten von Maßnahmen beurteilen zu können. Und am Ende wollen wir ja genau den Wärmeplan, der für den Ort passend ist und auch umgesetzt werden kann.
 

Kennen Sie ein Beispiel, wo es Widerstände gab? Und wie ist man damit in der Kommune umgegangen?

Kritische Punkte bei der Wärmeplanung können sein: Wollen wir einen Anschluss- und Benutzungszwang für Wärmenetze? Wie lösen wir Standortfragen für Heizzentralen, Speicher oder Freiflächenanlagen (z. B. Solarthermie) für Wärmenetze? Diese Punkte lassen sich jedoch in einem ernst gemeinten Mitspracheverfahren klären.

Ein Bürgermeister hat mir kürzlich berichtet, dass er noch nie so viel Zuspruch für ein Projekt bekommen hat, wie für die Planung des Wärmenetzes. Der Wunsch nach Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und für lokale Lösungen hat stark zugenommen. Wenn sich in der Wärmeplanung herausstellt, dass ein Wärmenetze ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist, dann ist die nächste Frage, ob man es lokal gemeinschaftlich entwickelt und betreibt anstatt es an einen großen externen Betreiber zu vergeben. Ein Beispiel dafür findet sich in Hürup (Norddeutschland), wo ein Verein ein Wärmenetz initiiert und dann eine Genossenschaft gegründet hat, um es zu betreiben.

Die Wärmeplanung bietet Kommunen also auch eine große Chance für Neuerungen und Strukturwandel: Sie kann Abhängigkeiten reduzieren, das System dezentralisieren und zu lokalen Lösungen wie einer Genossenschaftsgründung führen.
 

„Wärmeplanung“ und „Mehr Demokratie“ – wie bei vielen großen Infrastrukturprojekten gibt es zwischen politisch-wirtschaftlichen Interessen und den Interessen von betroffenen Bürger*innen oftmals Widersprüche. Welche Vorgehensweisen würden Sie bzw. Ihr Verein hierbei Kommunen oder Projektierern empfehlen  –  welche Unterstützung können Sie ggf. hierbei anbieten?

Die Fragen, die uns alle betreffen, sollten wir auch alle mitentscheiden – wollen wir einen Anschluss- bzw. Benutzungszwang, wie soll die Betreiberstruktur aussehen, welche Informationen brauchen wir? Oder wenn es kritische Fragen zu Standorten und Flächen gibt. Für solche Fragen brauchen wir, lösungsorientierte Methoden. Natürlich kann man zu normalen zu Beteiligungstagen einladen, aber dann kommen oft nur die gleichen 30 Leute.

Wirkungsvoller kann es z. B. sein , über ein Losverfahren Bürger*innen in den Beteiligungsprozess zu integrieren und somit einen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung herzustellen. Daraus entstehen Konsens-orientiertere Lösungen mit gemeinsamen Empfehlungen. Im Bezug auf die Wärmeplanung können z. B. hinsichtlich Besitzstrukturen von Wärmenetzen, Flächennutzungen oder wie wir in energetischen Sanierungen schneller werden, Empfehlungen erarbeitet werden.

Bei solchen Verfahren kann „Mehr Demokratie e.V.“ Kommunen und Initiativen durch Beratung unterstützen, z. B. zu Erfolgsfaktoren, Fallstricken etc.  Auch erproben wir neue Ansätze in Kommunen. Basierend auf unseren Erfahrungen haben wir einen Bürgerrat-Leitfaden für kommunale Los-basierte Bürgerräte entwickelt, der ab nächsten Monat verfügbar ist.
 

Was würden Sie Kommunen beim Einstieg in die Wärmeplanung abschließend empfehlen?

Verwaltungsintern: Analysieren Sie, wer die wichtigen Abteilungen sind, die am Ende die Planung umsetzen müssen, und bauen Sie mit ihnen eine Struktur für die Zusammenarbeit auf.

Verwaltungsextern: Setzen Sie eine Akteursbeteiligung auf (Stadtwerke, Wohnungsbaugesellschaften etc.) und erstellen Sie frühzeitig ein ernstgemeintes Beteiligungskonzept  für Bürger*innen. Darin sollte festgelegt werden, in welchen Punkten Bürger*innen mitentscheiden werden. D. h. bei technischen Fragen eher weniger, aber bei Punkten, die uns alle betreffen und unser Wohnen und Zusammenleben verändern, dort sollten die Bürger*innen auf jeden Fall beteiligt sein.
 

Kontakt: Lea Johannsen, Mehr Demokratie e.V.

Weitere Informationen:

https://www.mehr-demokratie.de/themen/klima-und-demokratie

https://die-klimadebatte.de/