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Interview | Mit Dr. Elmar Uherek, Klimaschutzmanager der Stadt Rüsselsheim

Bevor er in den kommunalen Klimaschutz eingestiegen ist, war Elmar Uherek viele Jahre in der Klimaforschung tätig. Er ist überzeugt, dass die Energiewende teil unseres persönlichen Lebens werden muss, damit sie gelingt. Daher sind ihm Maßnahmen wichtig, die Bürger*innen – und insbesondere Kinder und Jugendliche – aktiv einbeziehen.

 

Guten Tag Herr Uherek. Welche Energiewende- bzw. Klimaschutz-Themen beschäftigen Sie gerade?

Wärmeplanung und Bildungsarbeit.
 

Wenn Sie an die Energiewende denken, was hat in letzter Zeit gut geklappt? Haben Sie ein positives Beispiel aus Ihrer Arbeitspraxis?

Ein besonders positives Beispiel kann ich gerade aus meiner Heimat, der Verbandsgemeinde Wörrstadt, nennen: Carsharing im ländlichen Raum ist eine Herausforderung. Eine Bürgerenergiegenossenschaft, SOLIX MOBIL, nimmt diese gerade in einigen kleinen und mittelgroßen Orten im Rheinhessischen in Angriff.

Die Energiewende kann nur funktionieren, wenn auch Bürger*innen investieren. Das ist ein sehr schönes Beispiel dafür. Sobald die PV Anlage auf dem eigenen Dach ist, würde ich bei so einem Projekt gerne mitmachen, als Privatperson.
 

Welche Rolle spielt in Ihrer Arbeit die regionale Vernetzung und Kooperation?

Ich komme aus der Klimaforschung: wir teilen weltweit eine Atmosphäre. Jede Kommune soll zum Beispiel bei der Wärmeversorgung die lokalen Potentiale soweit wie möglich ausschöpfen. Ohne Kooperation geht es aber nicht. Eine Stadt wie Rüsselsheim mit einem großen Trinkwasserschutzgebiet und kaum Optionen für Geothermie, auf weitgehend ebenem Land ohne exponierte Stellen für Windkraft und mit vielen älteren Häusern mit netten Dachgiebeln (nicht allzu solarfreundlich) kann naturgemäß ihre eigene Energie vorerst nicht vollständig aus erneuerbaren Quellen erzeugen.

In einem Region-N-Vortrag wurde berichtet, wie sich städtisch und ländlich geprägte Kommunen im Landkreis Lörrach vernetzt haben. Die Energieverbraucher konzentrieren sich in den Städten, ländliche Gemeinden im angrenzenden Schwarzwald hingegen haben Erzeugungspotentiale. Vernetzung mit umliegenden Kommunen, Energiepotentiale teilen und Erfahrungen austauschen, das ist der richtige Weg. Kolleginnen und Kollegen im eigenen Rathaus sind genauso Partner wie die der Nachbarkommune.
 

Wer sind Ihre wichtigsten Kooperations- oder Bündnispartner*innen? Haben Sie ein Beispiel, wo Vernetzung entscheidend zum Erfolg einer Maßnahme beigetragen hat?

Ich sehe die Klimaschutzmanager*innen als gut kooperierende Gemeinschaft. Im Kreis Groß-Gerau findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch statt, der hilfreich ist. Wenn eine Kommune schon etwas erfolgreich umgesetzt hat, bekommt man aber auch problemlos Auskunft von außerhalb des eigenen Bundeslandes. Die großen gemeinsamen Projekte müssen noch kommen – vielleicht bald in der Wärmeplanung.

Viele kleine helfen aber auch. Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim organisiert im nächsten Winter eine Ausstellung zum Klima. Eine Station wird von Schüler*innen einer Rüsselsheimer Schule gestaltet. Da kommen ein Lehrer zusammen, der die AG an der Schule betreut, eine Pädagogin aus Wiesbaden, die das Projekt koordiniert, eine Künstlerin, die mit den Schüler*innen nach der Methode des ästhetischen Forschens das Thema künstlerisch aufarbeitet und wir vom Amt für Umwelt und Klimaschutz mit der Vermittlung von Expertenwissen. Dahinter steht dann noch die Museumsleitung, die ihre organisatorische Erfahrung, die Räume und die Logistik einbringt. So interdisziplinär muss das laufen.
 

Mit wem möchten Sie sich künftig noch stärker vernetzen, um Energiewende und Klimaschutz schneller voranzubringen?

Kultusministerien. Schauen Sie sich die drei gerade erschienen Sachstandsberichte des IPCC an. Hier wird das in jahrelanger Forschung weltweit gesammelte Wissen zur Entwicklung unseres Planeten und mögliche Prognosen (abhängig von unserem Handeln) dargestellt. Wir haben relativ sichere Erkenntnisse, was uns bevorsteht. Im Schatten des Ukraine-Krieges hat davon kaum jemand Kenntnis genommen, es stand nicht medial im Vordergrund.

Wir machen (auch zurecht) die Klimakrise zum politischen und verwaltungstechnischen Aufgabenfeld. Aber das reicht nicht. Wenn Millionen Menschen über weite Strecken in den Pfingsturlaub fahren oder fliegen, oder bald wieder in den Sommerferien Fernreisen antreten – wie verträgt sich das mit Ölembargo und Energiesparen, wie mit gerechter Verteilung von Ressourcen unter den heute lebenden 8 Milliarden Menschen und denen der nächsten Generation?

Die Verantwortlichen in der Politik setzen nicht immer mutig genug die richtigen Anreize, aber Nachhaltigkeit ist auch in unserem Denken nicht hinreichend verankert. Die Menschen sehen Energiewende selten als Teil ihres persönlichen Lebens. Logisch. Wir fühlen uns sicher in tradierten Werten, nicht als Hamster in einem Experimentallabor. Das ist Teil der menschlichen Natur. Der Bildungsbereich könnte da einiges aufbrechen. Es gibt so viele positive Beispiele, wie wir gewinnen, wenn wir anders denken – und verlieren, wenn wir es nicht tun.

Natürlich gibt es Umweltbildung in den Schulen (wir selbst haben Kinder in der 4. und 6. Klasse). Aber, die Dimension des Problems ist nicht angekommen. Die Klimakrise gefährdet das Leben der jungen Generation derart, dass alle Aspekte vom Verständnis der Erderwärmung über unser Konsumverhalten, die Grenzen der Mobilität, die Motivation der Ökonomie bis hin zur Klimapsychologie (geteilte Verantwortung, zeitlicher Versatz des Problems, wie reagiere ich trotzdem?) Teil eines Fächer und Schuljahre übergreifenden Bildungskonzeptes werden müssten.

Ich bin jetzt 51. Was haben wir denn gelernt? In der 5. Klasse im Englischbuch „Sightseeing in London“. Unsere Reaktion als Schüler*innen: „Cool – möchte ich auch hin …“ Das ist heute nicht so viel anders. Da wird vielfach immer noch und oft ganz unabsichtlich eine Lernkultur fortgesetzt und nur teilweise hinterfragt, die ein Konsum-, Mobilitäts- und Gesellschaftsbild stützt, das nicht zukunftsfähig ist. „Klimagipfel COP 26 Glasgow“ als Rollenspiel … oder „Solutions for a Global Diet“ als Gruppenarbeit. Klimathemen können z. B. auch im Englischunterricht behandelt werden. In dieser Komplexität vielleicht noch nicht in der 5. Klasse … aber schon da kann man anfangen mit „From where do which fruits in the supermarket come?“

Die Pädagogen/Psychologen haben zwei spannende Vorschläge: 1. Ringe nicht alleine mit dem Klimawandel, werde in einer Gruppe aktiv! (z. B. Bürgerenergie, Umwelt AG) 2. Kein Frontalunterricht oder Fernsehen, sondern Diskussionskultur. Engagement erwächst aus der Diskussion, dem aktiven sich mit etwas Befassen. Ich träume von einem Klimaschutzprojekt, bei dem Schüler*innen und Bürger*innen antreten, gemeinsam Best-Practice-Projekte zu entwickeln und zu testen. So etwas können die Schulen aktuell aber nicht so einfach aufnehmen  – sie kommen ja sonst mit ihrem Lehrplan nicht durch.

Der IPCC und die Pariser Klimaziele geben uns knapp 10 Jahre bis zur Klimaneutralität. 7 Jahre dauerte bisweilen die Genehmigung eines Windrades. Wie lange dauert es, bis schulische Curricula angepasst werden? Aber das ist kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Wer sucht, findet Gestaltungsräume.


Wir danken Elmar Uherek für das Interview.
 

Kontakt: Dr. Elmar Uherek, Amt für Umwelt und Klimaschutz der Stadt Rüsselsheim